Dr. Gero Hocker

Lebensmittelverschwendung: Der Verbraucher in der Pflicht!

Die Regale im Supermarkt sind voll – an jedem Wochentag und fast zu jeder Uhrzeit. Nur wer kurz vor Ladenschluss kommt, muss ab und an auf schnell verderbliche Ware verzichten und findet vielleicht keine Gurke oder keinen Sellerie mehr in der Auslage.

 

Gleichzeitig ist in unserer Überflussgesellschaft der Wert von Lebensmitteln vielen nicht mehr bewusst. Während in anderen Regionen der Erde Menschen hungern und es an sauberem Trinkwasser oder Reis mangelt, erschlagen uns im Getränkemarkt Berge von Wasserkisten. Dieses Bild verdeutlicht den guten Zustand unseres Ernährungssystems und ist ein Zusammenspiel aus hocheffizienter Landwirtschaft und immer weiter optimierten Lieferketten. Bis zum Endverbraucher wird die Ware bestmöglich behandelt, auch um Verluste zu vermeiden.

 

Denn jeder verdorbene Apfel und jede Birne mit braunen Stellen ist im hart umkämpfen Lebensmitteleinzelhandel mit Margen teilweise im Promillebereich ein Verlust, der beim harten Wettbewerb mittelfristig über Sieg oder Niederlage entscheiden kann. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass nur 7% der verschwendeten Lebensmittel auf den Handel, jedoch 60% von uns als Endverbraucher der Tonne statt dem Magen zugeführt werden. Weggeworfene Lebensmittel sind nicht nur eine Frage der Moral, sondern bei der hohen Inflation auch des Geldbeutels.

 

Auch wenn es vielleicht eine unpopuläre Meinung sein mag: Den größten Hebel um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, den besitzen wir Bürger selbst. Indem wir eben nicht manisch am Mindesthaltbarkeitsdatum kleben, sondern unsere Sinne einsetzen und verzehrfähige Produkte auch nach Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums noch zu uns nehmen. Indem wir unsere Mahlzeiten und unseren Einkauf besser planen, um möglichst passgenau den individuellen Bedarf befriedigen zu können. Und indem sich Verbraucher auch mit dem Thema Ernährung beschäftigen und Lebensmitteln und ihrer Erzeugung wieder mehr Wert beimessen. 

 

Politik muss ihren Anteil leisten, indem sie unsere Kinder zu mündigen Bürgern werden lässt, die eigenverantwortlich gute Entscheidungen treffen können. Dazu Bedarf es nicht mehr Verbote, sondern Entscheidungsspielräumen, die mit einer fundierten Ernährungsbildung ausgeschöpft werden können. Gerade beim Thema Bildung hat unserer Staat Nachholbedarf.

 

Auch müssen wir uns über eine Reform des Mindesthaltbarkeitsdatums Gedanken machen. Leider kleben zu viele Menschen an einem Datum, das höchstens ein Anhaltspunkt über die Genießbarkeit eines Produkts sagen kann, aber kein Ausschlusskriterium darstellt. Hier gilt es praktikable Alternative zu entwickeln.

 

Wie so oft in der Geschichte dürfte es dennoch am Ende eine starke Wirtschaft sein, die Herausforderungen viel effizienter löst, als es Politik im Stande wäre. Günstige Strompreise führen beispielsweise zu mehr Kühlmöglichkeiten, die Lebensmittelverschwendung reduzieren. Und wirtschaftlich starke Unternehmen können investieren, um Innovationen voranzutreiben.

 

So nutzen Systemgastronomen bereits Sensoren, die am Produkt angebracht eine genauere Alternative zum MHD darstellen und mit sinkenden Kosten durch Skalierungseffekte auf immer mehr Produktgruppen ausgeweitet werden können. Andere Forscher tüfteln an Kühlschränken, die die Luftfeuchtigkeit und Gaszusammensetzung innerhalb des Kühlschranks an die aktuell darin gelagerten Lebensmittel anpassen, um ihre Haltbarkeit zu verlängern. Und künstliche Intelligenz wird bereits heute erfolgreich in der Produktion und im Lebensmitteleinzelhandel zur Verbesserung der Lieferketteneffizienz eingesetzt. Mit steigender Verbreitung wird auch der Endverbraucher darauf zurückgreifen und seinen Einkauf optimieren können.

 

Diese und weitere Innovationen werden es uns Verbrauchern leichter machen, jedoch nicht automatisch zu geringerer Lebensmittelverschwendung führen. Deshalb kommt es auf jeden einzelnen von uns an: Kaufen Sie bedarfsgerecht ein und prüfen Sie die Genussfähigkeit ihrer Lebensmittel mit all ihren Sinnen – aus moralischen Gründen, aber auch für Ihren Geldbeutel.